Wenn eine demokratische Regierung Grundrechte außer Kraft setzt, muss neben der gesetzlichen Grundlage eine akute Bedrohungslage vorliegen, die der Bevölkerung plausibel erklärt werden muss. Der deutschen Bundesregierung scheint dies seit Mitte März insbesondere vor dem Hintergrund der Fernsehbilder aus New York und Italien recht gut gelungen zu sein.
Niemand möchte ein überlastetes Gesundheistsystem erleben, das nicht mehr in der Lage ist, die Patienten zu versorgen. Zugleich ist es gelungen, das Infektionsgeschehen mit den getroffenen Maßnahmen einzuschränken. Der Erfolg ließ Forderungen nach weiteren Lockerungen lauter werden, die inzwischen auch in kleinen Schritten erfolgen.
Die angspannte Situation verunsichert allerdings auch viele Menschen, bringt manche in existentielle Notlagen und verlangt uns allen viel ab. Deshalb haben unterschiedliche Gruppen mit kreativen demokratischen Protestaktionen auf ihre Situation aufmerksam gemacht. Das hat Respekt verdient und unterscheidet sich von Aktionen derer, die die aktuelle Situation nutzen, um ihre Verschwörungsgeschichten zu verbreiten.
Denn keine Notlagen berechtigen dazu, willkürlich einzelne Personen oder willkürlich ausgewählte Gruppen die Schuld zuzuweisen oder zu diffamieren.
Genau das geschieht in jüngster Zeit besonders häufig bei den sogenannten "Hygiene"- oder "Anti-Corona-Maßnahmen"-Demos durch einen Teil der Demo-Teilnehmer*innen.
Im Landkreis Nienburg* gab es dazu in den vergangenen Wochen zwei solcher Aktionen, die uns bekannt geworden sind:
- In Uchte machten Akteure , die sich einer Gruppe "Widerstand 2020" zuordnete, mit Gesang auf sich aufmerksam und verwies dabei auf Internetseiten die Verschwörungsmythen verbreiten.
- Auf dem Nienburger Wochenmarkt generierten zwei Personen durch ungeeignete Masken und Schilder, die sie als Aktive der gleichen Gruppe auswiesen, Aufmerksamkeit und ernteten einen Platzverweis durch die Polizei.
Was steckt hinter dieser Gruppe, die inzwischen auch als Partei registriert werden möchte?
Beim ersten Blick auf die Internetseiten dieser neuen Gruppe und ihrer Protagonisten finden sich neben der Infragestellung der Corona-Maßnahmen, Ideen zum "Systemwechsel", der Auflösung des Bundestages und der Einsetzung eines Notparlaments ohne Politiker*innen.
"Widerstand 2020" ist vermutlich nicht von der AfD initiiert, wie mancherorts mit Bezug auf die gleiche Adresse der Geschäftstellen in Hannover zu lesen ist, sie "wildern" nur im gleichen rechtspopulistischen Klientel. Neu an "Widerstand 2020" und "Corona-Leugnern" ist, dass sie sehr unterschiedliche Anhänger*innen in einem breiteren Spektrum erreichen.
Problematisch ist dabei besonders der wachsende Einfluss antisemitischer Verschwörungserzähler*innen und von Rechtsextremisten auf entsprechenden Versammlungen. Sie versuchen den Unmut über Einschränkungen zu nutzen, um ihre Mythen zu verbeiten.
Wir sind also gehalten, zu differenzieren und die Diskussion um geeignete Maßnahmen zum Schutz gegen Infektionen zu versachlichen, denn die Eskalation des Diskurses schadet allen, die an geeigneten sachlichen Lösungen interessiert sind.
Allerdings ist es gleichzeitig sehr wichtig, undemokratische und menschenfeindliche Äußerung zu hinterfragen, zu kritisieren und als solche zu benennen.
Bild: Die Bielefeldverschwörung*: Bielefeld? Gibts doch nicht!?
*Die "Bielefeldverschwörung" ist eine satirische Verschwörungserzählung, die seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts im Netz kursiert. Sie ist eine Form der Ironisierung, die mit Kreatvität und Humor auf ein durchaus problematisches Phänomen reagiert.
Sie lebt von der Behauptung, dass die Stadt Bielefeld nicht existiert. Sie ist fester Bestandteill der Netzkultur geworden und wird inzwischen auch vom Stadtmarketing der Stadt Bielefeld aufgegriffen. Zum 800. Stadtjubiläum warb die Stadt mit dem Slogan "Das gibts doch nicht!".
Stand 19.5.2020
Update mit Rechercheergebnissen aus unterschiedlichen Quellen
RND
Unter dem Titel „So gefährlich denken die Gründer von Widerstand 2020“ beschreibt das Redaktionsnetzwerk Deutschland problematische Einstellungen bei den Gründer*innen. Victoria Hamm ist nur wenige Wochen nach der Gründung ausgestiegen.
„Ludwig und Hamm kritisieren die “Systemparteien”, halten “die Konstrukte von Elitenherrschaft und partizipativer Demokratie für Auslaufmodelle” und plädieren für eine “Auflösung von bestehenden Machtstrukturen”.
Die “Leipziger Volkszeitung” fragte Ludwig, was er tun wolle, damit in der Partei nicht bald jene das Ruder übernehmen, die schon in den Widerstandsgruppen auf Facebook häufig den Ton angeben – Impfgegner, Verschwörungstheoretiker, Rechtsextreme? “Wenn bei uns sogenannte Impfgegner oder Verschwörungstheoretiker mitmachen, dann ist das ja nicht per se schlecht”, antwortet Ludwig. “Es geht doch erst mal darum, miteinander zu reden.”
Quelle: Redaktionsnetzwerk Deutschland
Auf der Rechercheplattform Belltowernews wird die mangelnde Abgrenzung von Widerstand 2020 zu Rechtsextremen als besonderes Problem formuliert.
Zugleich wrd dargestellt und belegt, dass der radikale Verschwörungserzähler Attila Hildmann auch Widerstand 2020 als kontrollierte Opposition und als Teil der Verschwörung sieht.
Rechtsextreme sehen „Widerstand 2020“ als Chance – Abgrenzung fehlt
„Die Reaktion vonseiten der Gründer*innen ist bezeichnend: Kein Wort der Abgrenzung, sondern stattdessen weiter Betonung der gemeinsamen Ziele. Besonders zeigt sich das in einem Livestream von Schiffmann auf dessen Youtube-Kanal. Hier mahnt er an, jede Meinung zu respektieren und aufzuhören, in Schubladen zu denken. Man solle sich vorerst gemeinsam auf die Wiedererlangung der Freiheit besinnen, alles Weitere käme dann. Diese Aussage wiederholt er in Bezug auf Martin Sellner – bekanntestes Gesicht der Identitären Bewegung. Auf den Hinweis, dass dieser rechtsextrem sei, antwortet er mit einem Gesprächsangebot – an Martin Sellner. Man solle lieber miteinander reden, als übereinander, um nicht voreilig zu verurteilen. Mit Sellner wird deutlich, dass also wirklich jede Meinung – auch wenn sie menschenfeindlich und antidemokratisch ist – zu respektieren und deren Vertreter*innen nicht in („selbstgemachte“) Schubladen zu stecken sei.“
Quelle: Belltowernews
https://www.belltower.news/widerstand-2020-haben-corona-rebellen-nun-ihre-eigene-partei-99105/